Wenn die Überraschungsklausel den Durchschnittsverbraucher übertölpelt …

… nennt man das „Juristendeutsch“. Wer z. B. einen Onlineshop betreibt, verwendet in der Regel Allgemeine Geschäftsbedingungen. Die darin enthaltenen Klauseln dürfen allerdings nicht willkürlich aufgestellt werden. Hier weist der Gesetzgeber die Phantasie der Verwender harsch in die Schranken.

So ist in § 305c des BGB festgelegt, dass „überraschende und mehrdeutige Klauseln“ keinesfalls Vertragsbestandteil werden können, wenn sie „so ungewöhnlich sind, dass der Vertragspartner des Verwenders mit ihnen nicht zu rechnen braucht“. Dadurch soll der Vertragspartner vor eventuell betrügerischen Absichten des Verwenders der AGB geschützt werden. Dies ist unbestritten sinnvoll.

Voraussetzung für das Vorliegen einer „Überraschungsklausel“ ist, dass sie „objektiv ungewöhnlich“[1] erscheint. Hinzu kommt – man höre und staune – das sogenannte „Überraschungsmoment“[2], d. h. „der Klausel muss ein Überrumpelungs- oder Übertölpelungseffekt innewohnen“[3]. Außerdem ist der Grad der Überraschung auch abhängig von den „Erkenntnismöglichkeiten des typischerweise zu erwartenden Durchschnittskunden“[4].

Was bzw. wer genau ist aber nun ein „Durchschnittskunde“, auch „Durchschnittsverbraucher“ genannt? Jemand, der FAZ und ARTE zwar vom Hörensagen kennt, doch lieber BILD liest und RTL schaut? Und ist der Begriff an sich nicht diskriminierend, weil vor dem Gesetz alle gleich sind und ein „Durchschnittskunde“ genauso wertvoll ist wie ein „Überdurchschnittsverbraucher“? Oder werden Verbraucher in Deutschland gar anhand von vagen „IQ-Einschätzungen“ in verschiedene Gruppen unterteilt? Wenn ja, dann soll die Wissenschaft doch erst einmal unmissverständlich erklären, wie „Intelligenz“ überhaupt definiert ist!

Des Weiteren ist die Begrifflichkeit „Überraschungsmoment“ nicht eindeutig genug. Muss der Kunde vor Schock vom Stuhl fallen oder reicht es bei überaus hartgesottenen Kunden aus, wenn diese bloß eine kleine Gefühlsregung zeigen und relativ gelassen bleiben? Und was ist mit denen, die gar nicht erst überrascht sind, wohlwissend, dass Abzocke und Betrug zum Leben gehören wie die URL zum Internetauftritt? So viele offene Fragen, wenige Antworten.

Ein genereller Kritikpunkt an § 305c ist folgender: Die meisten Leute verbinden mit dem Wort „Überraschung“ ja etwas Positives. Warum verwendet das BGB also nicht den Ausdruck „Negativüberraschungsklausel“ oder dergleichen? Das wäre die juristisch genauere Formulierung. Denn angenommen, ein „Durchschnittskunde“ kauft sich ein neues Fahrrad und bekommt dank „Überraschungsklausel“ noch einen Ferrari gratis dazu, darf er sich dann – zurecht frustriert und überrumpelt – darauf berufen, dass er mit so etwas nicht gerechnet hat, und die Karre zurückgeben?

Heutzutage beschreibt man einen „Durchschnittsverbraucher“ im Allgemeinen als durchschnittlich informiert, situationsadäquat aufmerksam und verständig.

Wenn Sie das nächste Mal einen Artikel kaufen, machen Sie sich doch mal die Mühe und informieren sich exakt über die gesamten AGB, lesen Sie sich diese situationsadäquat aufmerksam durch, sprich ohne dabei einzuschlafen, und verständigen Sie anschließend einen Rechtsanwalt, der die Klauseln unter die Lupe nehmen kann. Und dann: Lassen Sie sich überraschen!


[1] Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 69. Auflage 2010, Verlag C.H. Beck; § 305c, Randnummer 3

[2] Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 69. Auflage 2010, Verlag C.H. Beck; § 305c, Randnummer 4

[3] Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 69. Auflage 2010, Verlag C.H. Beck; § 305c, Randnummer 4

[4] Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 69. Auflage 2010, Verlag C.H. Beck; § 305c, Randnummer 4

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