IT-Recht Plus - Der Rechtsschutz für Online-Händler

Barrierefreie Online-Shops: Rechtliche Checkliste für die BFSG-Umsetzung

Was Online-Shops jetzt zum BFSG wissen müssen

Marco Michely, Gesellschafter der BFSG-Beratung Webklusio (https://www.webklusio.de), erklärt in diesem Gastartikel die rechtlichen und praktischen Aspekte der Barrierefreiheit für Online-Shops. Webklusio unterstützt Unternehmen dabei, digitale Inklusion erfolgreich umzusetzen.
Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) ist seit dem 28. Juni 2025 in Kraft – und damit Realität für deutsche Online-Händler. Das Gesetz setzt die EU-Accessibility-Richtlinie in deutsches Recht um und verpflichtet erstmals private Unternehmen zur digitalen Barrierefreiheit. Doch was bedeutet das konkret für Online-Shop-Betreiber? Und wie unterscheidet sich rechtliche Compliance von echter Usability?
Die wichtigste Erkenntnis vorweg: Technische Konformität mit Standards wie WCAG 2.1 garantiert noch keine nutzbare Website. Automatische Test-Tools erfassen nur etwa 30-40% aller Barrieren. Echte Barrierefreiheit entsteht durch durchdachte Gestaltung und kontinuierliche Verbesserung – nicht durch das   Abhaken von Checklisten.

Bin ich betroffen? Schnellcheck für Online-Händler

Das BFSG gilt für alle B2C-Online-Shops, die „Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr“ anbieten. Konkret bedeutet das: Wenn Verbraucher über Ihre Website Verträge abschließen können – sei es der Kauf von Produkten oder die Buchung von Dienstleistungen – sind Sie grundsätzlich betroffen.
Die wichtigste Ausnahme: Kleinstunternehmen mit weniger als 10 Mitarbeitern und maximal 2 Millionen Euro Jahresumsatz sind von den Pflichten befreit. Diese Unternehmen sollten Barrierefreiheit dennoch als Wettbewerbsvorteil erwägen.
Graubereiche sorgen oft für Unsicherheit: Marktplatz-Verkäufer, App-Anbieter und Unternehmen mit hybriden B2B/B2C-Modellen müssen individuell prüfen, ob sie betroffen sind. Reine Informationswebsites ohne Verkaufsfunktion oder interne Unternehmenstools fallen definitiv nicht unter das BFSG.

Für eine schnelle und kostenlose Einschätzung gibt es mittlerweile spezialisierte Selbsttests, die bei der rechtlichen Einordnung helfen. Diese Tools berücksichtigen Unternehmensgröße, Geschäftsmodell und Website-Funktionen für eine fundierte Erstbewertung.

Rechtslage und Business-Vorteile

Die rechtlichen Risiken sind real: Marktüberwachungsbehörden der Länder können Bußgelder bis zu 100.000 Euro verhängen. Zusätzlich drohen wettbewerbsrechtliche Abmahnungen, da BFSG-Verstöße als Verstoß gegen das UWG gewertet werden können. Verbraucherbeschwerden führen zu behördlichen Prüfverfahren, die auch bei kleineren Verstößen unangenehm werden können.

Realistisch betrachtet läuft die Marktüberwachung jedoch schrittweise an. Die Behörden fokussieren zunächst auf offensichtliche Verstöße und große Anbieter. Dokumentierte Bemühungen zur Verbesserung der Barrierefreiheit können strafmildernd wirken.

Die Business-Chancen überwiegen die Risiken deutlich: Über 13 Millionen Menschen in Deutschland leben mit einer Beeinträchtigung – eine kaufkräftige Zielgruppe, die bisher oft ausgeschlossen wird. Barrierefreie Websites verbessern die User Experience für alle Nutzer: Klare Navigation, verständliche Texte und durchdachte Formulare steigern die Conversion-Rate messbar.

SEO-Vorteile entstehen fast automatisch: Strukturierter HTML-Code, aussagekräftige Alt-Texte und logische Überschriftenhierarchien entsprechen genau den Anforderungen moderner Suchmaschinenoptimierung. Der demografische Wandel macht Barrierefreiheit zudem zu einem Zukunftsthema – die Zielgruppe wächst kontinuierlich.

Inklusion wird außerdem zu einem wichtigen Differenzierungsmerkmal. Unternehmen, die Barrierefreiheit authentisch umsetzen, positionieren sich als verantwortungsvolle, zukunftsorientierte Marken. Eine aktuelle Studie der Aktion Mensch zeigt: Nur 21-33% der führenden deutschen Online-Shops sind derzeit barrierefrei – ein enormer Wettbewerbsvorteil für Pioniere.

Konkrete Anforderungen für Online-Shops

Die technischen Anforderungen orientieren sich an den WCAG 2.1 Standards auf Level AA. Für Online-Shops bedeutet das konkret:

Tastaturbedienbarkeit ist das A und O: Der komplette Kaufprozess muss ohne Maus nutzbar sein. Das umfasst Navigation, Produktsuche, Warenkorb und Checkout. Besonders kritisch sind Dropdown-Menüs, Modal-Fenster und dynamische Inhalte, die oft nur per Mausklick erreichbar sind.

Alt-Texte für Produktbilder müssen aussagekräftig sein. Statt generischer Beschreibungen wie „Produktbild“ sind konkrete Details gefragt: „Rotes Ledersofa, 3-Sitzer, mit Chromfüßen“ hilft sehbeeinträchtigten Nutzern beim Verständnis.

Farbkontraste müssen mindestens 4,5:1 für normalen Text erreichen. Besonders häufig versagen graue Schriftfarben auf weißem Grund und farbige Call-to-Action-Buttons. Informationen dürfen nicht ausschließlich durch Farben übermittelt werden.

Formulare brauchen korrekte Labels, die eindeutig mit Eingabefeldern verknüpft sind. Pflichtfelder müssen als solche erkennbar sein. Fehlermeldungen sollten konstruktive Korrekturvorschläge enthalten, nicht nur auf Probleme hinweisen.

Die verpflichtende Barrierefreiheitserklärung muss auf jeder Website verfügbar sein und den aktuellen Konformitätsgrad, bekannte Einschränkungen und Kontaktmöglichkeiten für Feedback enthalten.

Wichtig zu verstehen: Automatische Test-Tools wie WAVE oder axe DevTools erfassen nur einen Bruchteil der tatsächlichen Barrieren. Manuelle Prüfungen und Tests mit echten Nutzern sind unerlässlich für echte Barrierefreiheit.

Praktischer Fahrplan: Jetzt starten

Sofortmaßnahmen für die ersten vier Wochen schaffen schnelle Verbesserungen: Nutzen Sie kostenlose Tools wie den WAVE Web Accessibility Evaluator oder axe DevTools für eine erste Ist-Analyse. Ergänzen Sie Alt-Texte für Ihre wichtigsten Produktbilder – das kann oft intern erledigt werden. Beheben Sie offensichtliche Kontrastprobleme mit Tools wie dem WebAIM Contrast Checker. Testen Sie die Tastaturbedienbarkeit Ihres Shops: Können Sie den kompletten Kaufprozess nur mit der Tab-Taste durchlaufen?

Mittelfristige Schritte in den nächsten 3-6 Monaten erfordern professionelle Unterstützung: Beauftragen Sie eine fundierte BFSG-Analyse durch Experten. Implementieren Sie Verbesserungen stufenweise nach Prioritäten – beginnen Sie mit dem Kaufprozess als kritischstem Bereich. Schulen Sie Ihr Team: Entwickler, Designer und Content-Manager müssen Barrierefreiheit verstehen und umsetzen können.

Langfristig geht es um nachhaltige Integration: Barrierefreiheit muss in jeden Entwicklungszyklus eingebaut werden. Neue Features, Design-Updates und Content-Ergänzungen sollten automatisch auf Accessibility geprüft werden.

Wichtiger Fallstrick: Overlay-Tools und JavaScript-„Fixes“ sind keine Lösung. Diese Tools versprechen schnelle Barrierefreiheit per Widget, können aber rechtlich riskant sein und echte Probleme verschleiern statt lösen.

Fazit und nächste Schritte

Das BFSG ist Realität – doch Panik ist fehl am Platz. Ein pragmatischer Ansatz führt zum Ziel: Schritt für Schritt verbessern, dokumentieren und kontinuierlich optimieren. Perfekte Barrierefreiheit entsteht nicht über Nacht, aber jede Verbesserung hilft echten Menschen bei der Nutzung Ihres Angebots.

Verstehen Sie Inklusion als Chance zur Differenzierung: Unternehmen, die Barrierefreiheit authentisch umsetzen, erreichen neue Zielgruppen und verbessern die User Experience für alle Kunden.

Nutzen Sie verfügbare Ressourcen: Die Bundesfachstelle Barrierefreiheit bietet kostenlose Leitfäden. Spezialisierte Beratungen wie Webklusio unterstützen bei der rechtssicheren Umsetzung. Branchenverbände und Austauschrunden helfen beim Erfahrungsaustausch.

Der wichtigste Schritt ist der erste: Starten Sie jetzt mit einer ehrlichen Bestandsaufnahme. Nutzen Sie den kostenlosen BFSG-Test um zu prüfen, ob Ihr Unternehmen betroffen ist, setzen Sie erste Verbesserungen um und bauen Sie kontinuierlich aus. Ihre Kunden – und Ihr Business – werden es Ihnen danken.

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