Urteil des EuGH vom 03.09.2009 zur Frage des Wertersatzes nach Widerruf – viel Lärm um nichts?

Es ist eines der meistkommentierten Themen der vergangenen Tage im Netz: Das Urteil des EuGH vom 03.09.2009 (Az.: C-489/07, nachzulesen hier: http://www.jurpc.de/rechtspr/20090194.htm), in welchem der Gerichtshof darüber zu befinden hatte, ob und wenn ja unter welchen Voraussetzungen der Händler vom Verbraucher Wertersatz im Falle des Widerrufs verlangen kann.

Grundlage war eine Vorlagefrage des Amtsgerichts Lahr, welche folgenden Wortlaut hatte:
„Sind die Bestimmungen des Art. 6 Abs. 2 in Verbindung mit Abs. 1 Satz 2 der Richtlinie 97/7/EG dahin auszulegen, dass diese einer nationalen gesetzlichen Regelung entgegensteht, die besagt, dass der Verkäufer im Falle des fristgerechten Widerrufes durch den Verbraucher Wertersatz für die Nutzung des gelieferten Verbrauchsgutes verlangen kann?“

Der EuGH beantwortete diese Frage so:
„Die Bestimmungen des Art. 6 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 1997 über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der der Verkäufer vom Verbraucher für die Nutzung einer durch Vertragsabschluss im Fernabsatz gekauften Ware in dem Fall, dass der Verbraucher sein Widerrufsrecht fristgerecht ausübt, generell Wertersatz für die Nutzung der Ware verlangen kann.
Diese Bestimmungen stehen jedoch nicht einer Verpflichtung des Verbrauchers entgegen, für die Benutzung der Ware Wertersatz zu leisten, wenn er diese auf eine mit den Grundsätzen des bürgerlichen Rechts wie denen von Treu und Glauben oder der ungerechtfertigten Bereicherung unvereinbare Art und Weise benutzt hat, sofern die Zielsetzung dieser Richtlinie und insbesondere die Wirksamkeit und die Effektivität des Rechts auf Widerruf nicht beeinträchtigt werden; dies zu beurteilen ist Sache des nationalen Gerichts.“

Kaum war die Entscheidung veröffentlicht, „tobte“ bereits auf den einschlägigen Seiten der Kampf um die Deutungshoheit, Newsletter von Anwaltskanzleien und Shopsystemeanbietern wurden versandt, hastig Kommentare ins Netz gestellt.
So sieht z.B. die „IT-Recht-Kanzlei“ München den Gesetzgeber gefordert, die Musterwiderrufsbelehrung wieder zu ändern und den Vorgaben des EuGH anzupassen (http://www.it-recht-kanzlei.de/eugh-wertersatz.html mit Anm. des Verf.).

Noch weiter nach vorne wagten sich die Vertreter der Plattform „Tradoria“, die ihren Kunden per Newsletter am 09.09.2009 erklärten:
„Wir haben aufgrund dieses EuGH-Urteils vom 03.09.2009 die rechtliche Situation ausgiebig geprüft und uns mit IT-Rechtsexperten umfassend und intensiv ausgetauscht.

Um der aktuellen Rechtslage gerecht zu werden, passen wir zum heutigen Tag die Widerrufsbelehrung entsprechend an.
Dies hat zur Folge, dass ein Wertersatz bei normaler Nutzung der Ware innerhalb der 2 wöchigen Widerrufsfrist  n i c h t  (mehr) geltend gemacht werden kann!

Nach dem Urteil des EuGH gehen wir *zunächst* davon aus, dass grundsätzlich kein Wertersatz verlangt werden darf für Fälle, in denen der Kunde nur die Möglichkeit der Nutzung hatte, aber auch in Fällen, in denen er die Ware bestimmungsgemäß in Gebrauch genommen hat. Denn genau diesen Fall hatte der EuGH letztlich zu entscheiden und eine Wertersatzpflicht verneint.“
Doch: Stimmt das so?

Bei genauerer Lektüre des Urteils wird zunächst klar, dass das Gericht einen Fall zu beurteilen hatte, der ein eher ungewöhnlicher war, nämlich den, dass die Widerrufsfrist mangels ordnungsgemäßer Belehrung für den Verbraucher nicht zu laufen begonnen hatte und dieser so seine Vertragserklärung noch fast ein Jahr nach dem Kauf noch widerrufen konnte.
Der Verkäufer verlangte danach Wertersatz und setzte als Nutzungsersatz eine marktübliche Monatsmiete an, die den Kaufpreis des gebrauchten Notebooks überschritt.

Hierzu hielt der EuGH vier konkrete Punkte fest, die den nationalen Gesetzgeber binden:
1.    Die generelle Auferlegung eines Wertersatzes für die Nutzung der durch Vertragsabschluss im Fernabsatz gekauften Ware ist mit den Zielen von Art. 6 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 der Richtlinie 97/7 unvereinbar.
2.    Die Höhe eines Wertersatzes darf nicht außer Verhältnis zum Kaufpreis der Ware stehen
3.    Die nationale Regelung darf dem Verbraucher nicht die Beweislast dafür auferlegen, dass er die Ware während der Widerrufsfrist nicht in einer Weise benutzt hat, die über das hinausgeht, was zur zweckdienlichen Ausübung seines Widerrufsrechts erforderlich ist.
4.    Der nationale Gesetzgeber darf dem Verbraucher auferlegen, einen angemessenen Wertersatz zu zahlen, wenn er die durch Vertragsabschluss im Fernabsatz gekaufte Ware auf eine mit den Grundsätzen des bürgerlichen Rechts wie denen von Treu und Glauben oder der ungerechtfertigten Bereicherung unvereinbare Art und Weise benutzt hat.

Weitere konkrete Vorgaben hat der EuGH bewusst nicht gemacht.
Vielmehr hat er ausdrücklich betont, dass es „Sache des nationalen Gerichts“ sei
„den Rechtsstreit, mit dem es konkret befasst ist, im Licht dieser Grundsätze unter gebührender Berücksichtigung aller seiner Besonderheiten zu entscheiden, insbesondere der Natur der fraglichen Ware und der Länge des Zeitraums, nach dessen Ablauf der Verbraucher aufgrund der Nichteinhaltung der dem Verkäufer obliegenden Informationspflicht sein Widerrufsrecht ausgeübt hat.“
In der Entscheidung findet sich kein Wort davon, nicht einmal eine Andeutung insoweit, dass deutsches Recht mit den Vorgaben der geprüften Richtlinie nicht im Einklang stünde.
Und damit hat der EuGH recht.

Deutsches Recht und auch die seinen Regelungen nachgestaltete Musterwiderrufsbelehrung bestimmen keine generelle Auferlegung eines Wertersatzes im Falle des Widerrufs:
In der Musterbelehrung heißt es:
„Können Sie uns die empfangene Leistung ganz oder teilweise nicht oder nur in verschlechtertem Zustand zurückgewähren, müssen Sie uns insoweit ggf. Wertersatz leisten. Bei der Überlassung von Sachen gilt dies nicht, wenn die Verschlechterung der Sache ausschließlich auf deren Prüfung – wie sie Ihnen etwa im Ladengeschäft möglich gewesen wäre – zurückzuführen ist.(…)“
Von einem generellen Wertersatz ist nicht die Rede, da der Verbraucher „ggfs.“ Wertersatz leisten muss, aber nicht in jedem Fall.
Soweit eine Wertersatzpflicht auch für die „bestimmungsgemäße Ingebrauchnahme“ formuliert ist, so ist auch diese nicht bedingungslos, sondern an eine dadurch „entstandene Verschlechterung“ und eine Einwirkung, die „deren Wert beeinträchtigt“, geknüpft.
Diese Einschränkung entspricht den Vorgaben des EuGH, wenn er die Auferlegung einer Wertersatzpflicht an die Einhaltung der Grundsätze des bürgerlichen Rechts wie denen von Treu und Glauben oder der ungerechtfertigten Bereicherung knüpft.
So kann in einer Nutzung durchaus eine Bereicherung durch ersparte Aufwendungen liegen die mit der Wertverschlechterung korrespondiert.
Die Beweislast für eine Verschlechterung trägt im deutschen Recht – „europarechtskonform“ – der Verkäufer und die Höhe des Wertersatzes ist positivrechtlich nicht geregelt und deshalb vom Gericht von Fall zu Fall nach Treu und Glauben unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu beurteilen.

Deshalb möchten wir vor „Schnellschüssen“ und insbesondere davor warnen, in einzelne Formulierungen der erst im März 2008 geänderten Musterwiderrufsbelehrung vorschnell einzugreifen, dies nicht zuletzt auch deshalb, weil in der Rechtsprechung schon die Meinung vertreten wurde, dass nur die vollständige Übernahme des Mustertextes die Schutzfunktion des § 14 Abs. 1 BGB-InfoV eintreten lassen kann (so z.B. Urteil des OLG Düsseldorf vom 30.10.2007, Az. I-20 U 107/07).

Diese Argumentation wird auch gerne von den abmahnenden Kollegen aufgegriffen.
Es könnte – bei einseitigen Textänderungen – mithin diese Schutzfunktion des – inhaltlich nicht unumstrittenen – Mustertextes verloren gehen und die abweichende Belehrung wieder abmahngefährdet sein.

Gleichwohl ist das Thema mit diesem Befund sicher noch nicht vom Tisch:
Denn nach der Erfahrung der vergangenen Jahre ist es keineswegs ausgeschlossen, dass auch der eine oder andere Abmahner die Entscheidung des EuGH missverstehen wird, sodass die Frage, ob der Gesetzgeber gefordert ist und ob die Musterbelehrung abgeändert werden muss, letztlich von den nationalen Gerichten geklärt werden muss.

von Rechtsanwalt Alexander Schupp, Küttner Rechtsanwälte, Zweibrücken und Frankfurt
Internet: www.kanzlei-kuettner.de

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